Empirische Studie widerlegt Hypothese über Zusammenhang zwischen Auftretenshäufigkeiten bestimmter Phoneme und emotionaler Klassifizierung von Gedichten
Seit der griechischen Antike beschäftigen sich Wissenschaftler, Dichter und Lyrikliebhaber immer wieder mit der Frage, ob es in der Poesie einen Zusammenhang zwischen Klang und emotionaler Textbedeutung gibt. Eine Reihe von Studien neueren Datums berichtete, dass bestimmte Phoneme (Plosive) häufiger in freudigen Gedichten auftreten, andere Phoneme (Nasale) hingegen häufiger in traurigen Gedichten zu finden seien. Weitere Untersuchungen und theoretische Auseinandersetzungen kamen zu dem Schluss, dass sich freudige, hell klingende Gedichte durch ein hohes Aufkommen an Vorderzungenvokalen auszeichnen und traurige, dunkle Gedichte durch viele Hinterzungenvokale.
Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik in Frankfurt haben diese Ergebnisse im Rahmen einer Replikationsstudie überprüft. Dabei wurden 128 StudienteilnehmerInnen befragt und 48 Gedichte aus dem 20ten Jahrhundert phonologisch analysiert.
Die Studie konnte bestätigen, dass freudige Gedichte als hell und traurige Gedichte als dunkel klingend empfunden werden. Jedoch zeigen sich zwischen freudigen und traurigen Gedichten keine Unterschiede hinsichtlich des Phoneminventars. Vielmehr waren Plosive und Nasale als auch Vorder- und Hinterzungenvokale in freudigen und traurigen Gedichten annähernd gleich verteilt. Die Annahme eines auf Auftretenshäufigkeiten von bestimmten Phonemen beruhenden Zusammenhanges zwischen Klang und Bedeutung in der Poesie bleibt somit vorerst eine „mimologische Träumerei“ von Dichtern und Wissenschaftlern.
Originalpublikation:
Kraxenberger M., & Menninghaus W. (2016) Mimological Reveries? Disconfirming the Hypothesis of Phono-Emotional Iconicity in Poetry. Frontiers in Psychology, 7:1779. doi: 10.3389/fpsyg.2016.01779
Kontakt:
Maria Kraxenberger
Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik, Frankfurt am Main
+49 69 8300479-115 maria.kraxenberger@ae.mpg.de
Dr. Anna Husemann
Forschungskoordination/PR
Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik, Frankfurt am Main
+49 69 8300479-650 anna.husemann@ae.mpg.de