Schöne Stellen in Musik
Werden wir nach der Musik gefragt, die uns besonders berührt oder gefällt, und versuchen wir dies zu beschreiben, so taucht dabei sehr wahrscheinlich das Wort „schön“ auf. Wollen wir in aller Knappheit begründen, warum gerade dieses oder jenes uns begeistert, mag es als Antwort sogar genügen. Aber was kann damit gemeint sein? Wo liegt das Schöne in der Musik?
Ausgehend von einem Wechselspiel zwischen klingendem Objekt und erlebendem Subjekt können angenehme Empfindungen während des Hörens „als Wirkung der Schönheit des Gehörten“ bewertet werden (Konrad, 2008). Theodor W. Adorno (1965) beschreibt schöne Stellen als einzelne Momente in der Musik, durch nichts anderes ersetzbar, in die man sich „ohne Vorbehalt“ verliert. Gleichzeitig erfahren wir das einzelne Ereignis einer schönen Stelle immer im Verhältnis zu Vorangegangenem und Folgendem, in einer Struktur des Ganzen.
“Vielmehr ist das musikalisch Ganze wesentlich ein Ganzes aus mit Grund aufeinander folgenden Teilen und nur dadurch Ganzes. Dazu nötigen sie die Grenzen möglicher Auffassung von Musik selber, die des Ganzen, als eines in der Zeit sich erstreckenden, nicht anders innewird als in den sukzessiven Abschnitten. Es artikuliert sich durch Vor- und Rückbeziehung, Erwartung und Erinnerung, Kontrast und Nähe; unartikuliert, ungeteilt zerflösse das Ganze in seiner bloßen sich selbst Gleichheit.“ (Adorno, 1997, S. 696)
Es ist jedoch nicht sicher, ob unterschiedliche Hörer ähnliche Erwartungen und Erinnerungen beim Musikhören haben. Auch die Reaktionen und Bewertungen von akustischen Ereignissen wie einer harmonischen Wendung, eines Melodieverlaufs oder eines besonderen Stimmeinsatz können ganz unterschiedlich ausfallen: Gänsehautmomente kennen wir alle, aber wir erleben sie zu verschiedener Musik. Das interdisziplinäre Projekt Schöne Stellen in Musik untersucht dieses individuell unterschiedliche Erleben mittels peripher-physiologischer Messungen von Teilnehmenden während des Hörens selbstgewählter Musik. Die Studienteilnehmenden markierten die exakte Dauer ihrer schönen Stellen und beschrieben ihr Erleben während des Hörens. Das Projekt nähert sich aus musikpsychologischer und musiktheoretischer Sicht den Zusammenhängen zwischen messbaren körperlichen Reaktionen, dem subjektivem ästhetischem Erleben und musikalisch-akustischen Eigenschaften und Strukturen.
Literatur
Adorno, Th. W. (1997). Schöne Stellen (1965). In R. Tiedemann (Hrsg.), Theodor W. Adorno, Gesammelte Schriften Bd. 18., Musikalische Schriften V (S. 695-718). Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Konrad, U. (2008). Von den erogenen Zonen des Gehörs, oder: Schöne Stellen in der Musik. Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik, Jg. 38, H. 152, 73-83.
Publikationen
Omigie, D., Frieler, K., Bär, C., Muralikrishnan, R., Wald-Fuhrmann, M., & Fischinger, T. (2019). Experiencing musical beauty: Emotional subtypes and their physiological and musico-acoustic correlates. Psychology of Aesthetics, Creativity, and the Arts. Advance online publication. http://dx.doi.org/10.1037/aca0000271
Externe Forschungspartnerin
Dr. Diana Omigie (Goldsmiths University, UK)