Musik ist nicht die universale Sprache der Gefühle: Evidenz aus einem kulturvergleichenden Experiment
Die Idee, Musik sei nicht nur die Kunst der Töne und Klänge, sondern so etwas wie eine universale „Sprache“ der Gefühle ist bis heute sowohl in der allgemeinen Meinung wie in wissenschaftlicher Forschung weit verbreitet. Diese Auffassung lässt sich bis zu den philosophischen Debatten über den Ursprung von Sprache und Musik im 18. Jahrhundert zurückverfolgen (v.a. bei Rousseau, Herder und Forkel). Aus eurozentrischer Perspektive schien diese Auffassung eine gleichsam natürliche Plausibilität zu besitzen. Jedenfalls lag sie auch den ersten Studien der aufkommenen Musikpsychologie im ausgehenden 19. Jahrhundert zugrunde – obwohl diese nur westliche enkulturierte Teilnehmer untersuchten. Seit den 1990er Jahren ist eine Reihe von Studien erschienen, die das Thema mit einem explizit kulturvergleichenden Ansatz angeht. Sie unterlaufen in der Mehrheit freilich Qualitätskriterien, die von musikwissenschaftlicher oder ethnologischer Perspektive aus von Bedeutung wären. So werden etwa ethnische Gruppen gebeten, den Gefühlsausdruck von Musikexzerpten einzuschätzen, ohne dass sie zuvor gefragt würden, ob sie die Idee, Musik würde Gefühle ausdrücken, überhaupt teilen und wenn ja, welche Gefühle sie für musikalisch ausdrückbar halten.
Um den Aspekt historischer wie geographischer Unterschiede stärker in vergleichende Studien zur Musikwahrnehmung einzubringen, waren an diesem Projekt auch Musikethnologen beteiligt. Gemeinsam wurde eine Studie entworfen, in der versucht wurde, hohe empirische Standards mit der Sensibilität von (Musik-)Ethnologen zu verbinden. Dazu wurden vier musikalische Repertoires identifiziert, die in ihrer Kultur als expressiv verstanden werden (europäische klassische Musik, traditionelle und populäre Musik aus Ghana, nordindische klassische Musik und global erfolgreicher Pop als Kontrollbedingung), und bislang fünf kulturell verschiedenen Teilnehmergruppen präsentiert (Deutsche, Ghanaer, Nord- und Südinder, Chinesen; N = 523, Fig. 1). Die Teilnehmer sollten dann entweder ein passendes Emotionswort aus einer Liste mit 27 Emotions-Kategorien auswählen oder den Ausdruck mit Likert-Skalen zu Arousal und Valenz bewerten. Außerdem wurde der Graf ihrer musikalischen Expertise und Vertrautheit mit den gespielten Repertoires erhoben sowie ihre Einstellung zu Musik und Gefühlsausdruck.
Wie angenommen ergaben sich große Unterschiede zwischen den Gruppen. Ganz generell wurde der kulturell adäquate Ausdruck der Stücke nicht sehr gut erkannt, wenn Teilnehmer sich für eine Emotionskategorie entscheiden sollten (Fig. 2), doch identifizierten die Teilnehmer das ihnen kulturell vertraute Repertoire ebensogut wie die Pop-Musik, während die kulturell nicht vertrauten Repertoires kaum je mit dem adäquaten Ausdruck in Verbindung gebracht wurden. In der Arousal-Valenz-Bedingung war die Übereinstimmung zwischen den Teilnehmern und den Gruppen etwas größer, jedenfalls für die Dimension Arousal. Die Valenz der ausgedrückten Emotion indes wurde von den kulturellen Gruppen ebenfalls sehr unterschiedlich wahrgenommen.
In weiteren Analysen werden wir versuchen herauszufinden, welche akustischen, musikalischen und außer-musikalischen Faktoren eine Rolle für die Ausdruckswahrnehmung spielten und inwiefern sich auch hier die Gruppen voneinander unterscheiden.
Externe Forschungspartner/in
PD Dr. Tobias Robert Klein (Universität Gießen)
Dr. Nicole M. Lehmann (Berlin)