Die Schaffung einer akademischen Disziplin. Eduard Hanslick, Guido Adler und die Etablierung musikwissenschaftlicher Methodologie im Wien des 19. Jahrhunderts

Das vorliegende Forschungsprojekt untersucht die gleichzeitige Entstehung von Musikwissenschaft und Kunstgeschichte als akademische Disziplinen an der Universität Wien im Rahmen einer durch Leopold Graf von Thun und Hohenstein (1811–1888) geleiteten Unterrichtsreform. Diese Reform, angestoßen von der Revolution 1848/1849, welche manche europäische Staatsmacht tiefgreifend erschüttert hatte, führte zu einer Unterteilung der philosophischen Generalästhetik in spezifischere akademische Disziplinen. Als Folge dessen erhielt Rudolf von Eitelberger (1817–1885) im Jahr 1852 eine außerordentliche Professur für Kunstgeschichte, zu der sich vier Jahre später die Dozentur für „Geschichte und Aesthetik der Tonkunst“ von Eduard Hanslick (1825–1904) gesellte, die früheste derartige Position im deutschen Sprachraum.

Beide Disziplinen entstanden demgemäß vor einem Hintergrund, der tiefgreifend von politischen und kulturellen Interessen geprägt war. Wenn Thun im Hinblick auf die geänderte politische Gemengelage zum einen die systematische Modernisierung der Habsburgischen Bildungsanstalten im Auge hatte, war ihm zum anderen daran gelegen jenen liberalen Kräften Einhalt zu gebieten, die als Hintergrund der Revolution galten. Zudem musste Thun die steigenden nationalen Spannungen und Sprachkonflikte der multiethnischen Monarchie berücksichtigen, die den Aufstand befeuert hatten. Musikwissenschaft und Kunstgeschichte, die nonverbale Künste erforschen, rückten bei der Pflege des „kulturell neutralen“ Positivismus ins Zentrum, der als objektive Methode ohne alle kulturelle und politische Vorurteile galt. Beide Fächer wurden folglich im Grenzbereich von Wissenschaft und Politik gegründet und eröffnen Einblicke in die komplexe Beziehung dieser Faktoren.

Neben diesem Netzwerk aus Politik, Kultur und Wissenschaft untersucht das Projekt ebenso die Evolution der Methodik der Musikwissenschaft und den Transfer von Begriffen und Modellen zwischen frühen Vertretern der Musikwissenschaft und Kunstgeschichte. Dabei werden vor allem die Schriften des Hanslick-Schülers Guido Adler (1855–1941) analysiert, der das Institut für Musikwissenschaft der Universität Wien aufgebaut hat und dessen überaus zentrales Stilkonzept von Begrifflichkeiten der Kunstgeschichte wie Alois Riegls (1858–1905) „Kunstwollen“ inspiriert war. Adler rief auch die „Denkmäler der Tonkunst in Österreich“ ins Leben, ein weiterhin laufendes Editionsprojekt, das musikalische „Meisterwerke“ Österreichs bewahren und vorstellen soll. Dieses Projekt, das von unterschwelliger Identitätspolitik durchdrungen ist, entstand im Austausch mit kunsthistorischen Überlegungen zum Denkmalschutz. Das vorliegende Unterfangen wird somit zeigen, dass beide akademische Disziplinen mit Methoden arbeiteten, die nicht nur abstrakten fachlichen Diskursen entstammten, sondern zugleich auf konkrete politische Anliegen reagierten.

Erwin-Schrödinger-Stipendium, gefördert vom FWF (J4529)

 

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