Schöne Natur – umstrittene Kunst
Neue Untersuchungen am Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik und an der New York University zeigen, dass Einigkeit bei ästhetischen Geschmacksurteilen abhängig davon ist, ob eine Sache künstlich geschaffen wurde oder natürlich entstanden ist.
Über Geschmack lässt sich nicht streiten. Aus wissenschaftlicher Sicht trifft diese gängige Aussage zumindest teilweise zu, wie neue Forschungen am Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik in Frankfurt am Main in Zusammenarbeit mit der New York University zeigen. In einer Reihe von Experimenten wurden Studienteilnehmerinnen und Studienteilnehmer gebeten, sich Bilder verschiedener ästhetischer Bereiche anzusehen. Diese reichten von menschlichen Gesichtern über Naturlandschaften bis zu Architektur und Kunstwerken.
Die Studienteilnehmer sollten bewerten, wie ästhetisch ansprechend sie die Bilder fanden. In einer zweiten Aufgabe mussten sie sich mehr anstrengen, um durch schnelles Drücken von Tasten ihre Lieblingsbilder länger auf dem Bildschirm angezeigt zu halten. Während die erste Aufgabe darauf abzielte, die „Vorliebe“ der Teilnehmer für das, was sie sahen, zu beurteilen, maß die zweite Aufgabe den Grad des „Begehrens“. Anhand der beiden Aufgaben haben die Forscher dann den Grad des „gemeinsamen Geschmacks“ für jeden Bereich, aus dem die Bilder entstammten, gemessen – also das Maß, in dem sich die Menschen darüber einig waren, was sie sehen wollten.
Beide Aufgaben zeigten, dass es die größten Übereinstimmungen im gemeinsamen Geschmack bei Gesichtern gibt, gefolgt von Naturlandschaften. Wenn es um Gesichter und Landschaften geht, tendieren unterschiedliche Menschen offensichtlich dazu, das Gleiche zu mögen. Anders sieht die Sache bei Architektur oder Kunstwerken aus. Hier gab es kaum Überschneidungen im Geschmack. Was das Lieblingskunstwerk einer Person war, war für eine andere durchaus das unbeliebteste.
Die kürzlich in der Fachzeitschrift „Cognition“ veröffentlichten Studienergebnisse weisen auf einen grundlegenden Unterschied zwischen natürlich vorkommenden ästhetischen Bereichen und Artefakten der menschlichen Kultur hin. „Verschiedene Menschen neigen dazu, auf natürlich vorkommende ästhetische Kategorien auf ähnliche Weise zu reagieren“, sagt Edward Vessel, Neurowissenschaftler am Max-Planck-Institut für empirische Ästhetikund Hauptautor der Studie, „aber sie reagieren sehr individuell auf Artefakte, also auf von Menschen geschaffene Werke.“
Obwohl nicht klar ist, was genau den Unterschied zwischen natürlich vorkommenden ästhetischen Bereichen und kulturellen Artefakten ausmacht, argumentieren die Autoren der Studie, dass dieser Unterschied etwas mit der Relevanz der verschiedenen Bereiche für das menschliche Alltagsverhalten zu tun haben könnte. „Ästhetische Urteile über Gesichter und Landschaften haben vielleicht eher konkrete Konsequenzen für unsere täglichen Entscheidungen als Urteile über Kunstwerke oder Architektur“, vermutet Vessel. Dies führe vermutlich dazu, dass verschiedene Menschen bei Gesichtern und Landschaften ähnliche Merkmale schätzen. Aus früheren Studien ist bekannt, dass Menschen – unabhängig von Ethnie und kulturellem Hintergrund – Gesichter bevorzugen, die symmetrisch sind und besonders männlich beziehungsweise weiblich ausgeprägt sind. Bei Landschaften wiederum werden allgemein offene Ausblicke, das Vorhandensein von Wasser und Anzeichen für menschliche Nutzung positiv bewertet.
Dass dagegen die Alltagsrelevanz von Kunst und Architektur nicht immer sofort erkennbar ist, könnte dazu führen, dass hier die meisten Menschen nicht zu einem übereinstimmenden Urteil gelangen. In weiteren Studien am Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik in Frankfurt will Edward Vessel der Frage nachgehen, ob und inwiefern das menschliche Gehirn auf unterschiedliche Weise auf diese verschiedenen ästhetischen Bereiche reagiert.
Originalpublikation
Vessel, E. A., Maurer, N., Denker, A. H. & Starr, G. G. (2018). Stronger shared taste for natural aesthetic domains than for artifacts of human culture. Cognition, 179, 121-131. doi: 10.1016/j.cognition.2018.06.009
Kontakt
Edward A. Vessel, Abteilung Neurowissenschaften
Tel.: +49 69 8300 479 327 / E-Mail: ed.vessel@ae.mpg.de
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit: presse@ae.mpg.de
Über das Institut
Das im Jahr 2013 gegründete Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik erforscht, was wem warum und unter welchen Bedingungen ästhetisch gefällt, und welche Funktionen ästhetische Praktiken und Präferenzen für Individuen und Gesellschaften haben. Die Forschungen widmen sich insbesondere den Grundlagen ästhetisch wertenden Wahrnehmens und Erlebens.