Ästhetische Gefühle
Kant bestimmte "ästhetische Gefühle" als intuitive Bewertungen einer Vielzahl von Phänomenen in Natur und Kultur für verschiedene ästhetische Vorzüge (schön, erhaben, usw.). In der Philosophie und Psychologie des 19., 20. und 21. Jahrhunderts hat der Begriff des ästhetischen Gefühls etliche Neufassungen erfahren. Das Konstrukt als solches ist aber immer noch umstritten, und empirische Forschungen zu ästhetischen Gefühlen sind bis heute eine Seltenheit. Unser Forschungsbereich B hat drei Schwerpunkte:
1. Definition des Konstrukts "ästhetische Gefühle" und Entwicklung einer Mess-Skala
In einer Reihe von Studien entwickeln wir eine grundlegende konzeptuelle Definition des Konstrukts "ästhetisches Gefühl" und eine umfassende Skala für die Erhebung ästhetischer Gefühle. Darüber führen wir Studien zu einzelnen ästhetischen Gefühlen durch.
2. Was heißt es, von einer Rede oder einem Kunstwerk "bewegt", "berührt" oder "erschüttert" zu sein?
Die moderne Psychologie hat die Gefühle des Bewegt-, Gerührt- und Erschüttertseins, die seit der Antike im Zentrum von Poetik und Rhetorik stehen, bislang kaum untersucht. Unsere Forschungen gelten deshalb der Etablierung dieser Gefühle als psychologischer Konstrukte und der Untersuchung ihrer besonderen Rolle für ästhetisches Erleben und Werten. In Fallstudien zu Filmen, Gedichten und Musikstückstücken werden behaviorale, physiologische und neuronale Korrelate dieser Gefühle untersucht.
3. Die Lust an negativen Gefühlen in der Kunstrezeption
Die Philosophie kennt eine lange Tradition der Debatten um das Vergnügen an negativen Gefühlen in der Kunstrezeption, die bis zu Aristoteles’ Poetik der Tragödie zurückgeht. Im Vergleich dazu gibt es nur wenig empirische Forschung zum Thema (mit Ausnahme der relativ zahlreichen Studien zu Horrorfilmen). Unsere Projektlinie konzentriert sich auf kunstinduzierte Gefühle von Traurigkeit, Ekel, Ärger und auf die Horror-Dimension von Trash-Filmen. Unser weiterreichendes Ziel ist es, auf der Basis empirischer Evidenzen, die in unseren eigenen und in anderen Studien gefunden worden sind, eine umfassende Theorie des Vergnügens an negativen Gefühlen in der Kunstrezeption zu entwickeln.
Aktuelle Projekte
Entwicklung ästhetischer Gefühle
In diesem Projekt wird unsere Forschung zu ästhetischen Gefühlen um einen entwicklungspsychologischen Aspekt erweitert: Wie entwickelt sich das Erleben ästhetischer Gefühle im Laufe der Kindheit und des Jugendalters?
Horripilation
Mehrere Studien haben gezeigt, dass emotionale Gänsehaut mit dem Erleben von Bewegtsein/Rührung einhergeht. Doch wie ist es mit anderen Emotionen?
Schauer bei Musik und Poesie
Der weise Leser liest das Werk eines Genies nicht mit seinem Herzen und auch nicht mit seinem Gehirn, sondern mit seinem Rücken.
— Vladimir Nabokov
In dieser Studie vergleichen wir die physiologischen und neuronalen Korrelate von Gänsehautmomenten, die beim Hören von Musik und Gedichten erlebt werden.
Neuronale und physiologische Korrelate des emotionalen Bewegtseins
Das Projekt untersucht die neuronalen und peripher-physiologischen Korrelate von Rührung/Sich-Bewegt-Fühlen. In mehreren Studien gehen wir der Frage nach, was im Körper und im Gehirn passiert, wenn wir uns durch ein Gedicht oder eine Filmszene bewegt fühlen.
Definition des Konstrukts "Ästhetische Gefühle"
Mit dem Ziel eines größeren theoretischen review-papers und dem Vorschlag eines multi-dimensionalen Modells untersucht das Projekt vorhandene Konzeptualisierungen des Konstrukts "ästhetische Gefühle" in der philosophischen Tradition und in der Psychologie.
Der Wohlfühlfilm: Genre-Merkmale und emotionale Effekte eines populären Filmtypus
Die Filmkritik verwendet den Begriff des Wohlfühlfilms vor allem in einem wertenden Sinn. Abhängig davon, ob die emotionale Wirkung des jeweiligen mit diesem Label versehenen Films als gerechtfertigt angesehen wird oder nicht, kann der Begriff dabei sowohl positiv als auch negativ konnotiert sein.
Entwicklung einer "Aesthetic Emotions Scale" (AESTHEMOS)
Ein theoretisches Konstrukt "ästhetische Gefühle" wird für empirische Forschung nur hilfreich, wenn zugleich Methoden der Messung erlebter ästhetischer Emotionen entwickelt werden. Das Projekt unternimmt diese Anstrengung: es entwickelt hochdifferenzierte Skalen für die Erfassung ästhetischer Gefühle in Selbstberichten und validiert diese Skalen sowohl mittels verschiedener statistischer Verfahren als auch in Feldstudien.
Can you dance your emotion? Yes, you can!
Dance Your Emotion is an international team of researchers from various disciplines including psychology, neuroscience, dance, filmmaking, computer science and anthropology.
Publikationen des Forschungsbereichs
Menninghaus, W., Wagner, V., Wassiliwizky, E., Schindler, I., Hanich, J., Jacobsen, T., & Koelsch, S. (2019). What are aesthetic emotions? Psychological Review, 126 (2), 171–195. doi:10.1037/rev0000135
Schindler, I., Hosoya, G., Menninghaus, W., Beermann, U., Wagner, V., Eid, M., & Scherer, K. R. (2017). Measuring aesthetic emotions: A review of the literature and a new assessment tool. Plos One, 12(6), e0178899. doi:10.1371/journal.pone.0178899 PDF
Wassiliwizky, E., Jacobsen, T., Heinrich, J., Schneiderbauer, M., & Menninghaus, W. (2017). Tears Falling on Goosebumps: Co-occurrence of Emotional Lacrimation and Emotional Piloerection Indicates a Psychophysiological Climax in Emotional Arousal. Frontiers in Psychology, 8(41). doi:10.3389/fpsyg.2017.00041
Menninghaus, W., Wagner, V., Wassiliwizky, E., Jacobsen, T., & Knoop, C. A. (2017). The emotional and aesthetic powers of parallelistic diction. Poetics, 63, 47–59. doi:10.1016/j.poetic.2016.12.001
Kraxenberger, M., & Menninghaus, W. (2017). Affinity for Poetry and Aesthetic Appreciation of Joyful and Sad Poems. Frontiers in Psychology, 7:2051. doi:10.3389/fpsyg.2016.02051
Kraxenberger, M., & Menninghaus, W. (2016). Emotional effects of poetic phonology, word positioning and dominant stress peaks in poetry reading. Scientific Study of Literature, 6(2), 298–313. doi:10.1075/ssol.6.2.06kra
Sarkhosh, K., & Menninghaus, W. (2016). Enjoying trash films: Underlying features, viewing stances, and experiential response dimensions. Poetics, 57, 40-54. doi:10.1016/j.poetic.2016.04.002
Wagner, V., Klein, J., Hanich, J., Shah, M., Menninghaus, W., & Jacobsen, T. (2016). Anger Framed: A Field Study on Emotion, Pleasure, and Art. Psychology of Aesthetics, Creativity, and the Arts, 10(2), 134–146. doi:10.1037/aca0000029
Wassiliwizky, E., Wagner, V., Jacobsen, T., & Menninghaus, W. (2015). Art-elicited chills indicate states of being moved. Psychology of Aesthetics, Creativity, and the Arts, 9(4), 405–416. doi:10.1037/aca0000023
Menninghaus, W., Wagner, V., Hanich, J., Wassiliwizky, E., Kuehnast, M., & Jacobsen, T. (2015). Towards a Psychological Construct of Being Moved. Plos One, 10(6), e0128451. doi:10.1371/journal.pone.0128451
Kumschick, I. R., Beck, L., Eid, M., Witte, G., Klann-Delius, G., Heuser, I., Steinlein, R., & Menninghaus, W. (2014). READING and FEELING: The effects of a literature-based intervention designed to increase emotional competence in second and third graders. Frontiers in Psycholology, 5:1448. doi:10.3389/fpsyg.2014.01448.
Kuijpers, M. M., Hakemulder, F., Doicaru, M., Tan, E. (2014) Exploring absorbing reading experiences: Developing and validating a self-report scale to measure story world absorption. Scientific Study of Literature, 4 (1), 89–122.
Wagner, V., Menninghaus, W., Hanich, J., & Jacobsen, T. (2014). Art schema effects on affective experience: The case of disgusting images. Psychology of Aesthetics, Creativity, and the Arts, 8(2), 120–129. doi:10.1037/a0036126
Sarkhosh, K. & Ferstl, P. (2014). Introduction: Popular Culture in the Field of "Undercomplexity" and "Imbalanced Coding". In P. Ferstl & K. Sarkhosh (Eds.), Quote Double Quote. Aesthetics between High and Popular Culture (pp. 7–21). Amsterdam: Rodopi.
Sarkhosh, K. (2014). "Sick, sick, sick"? Pornography, Disgust, and the Limit Values of Aesthetics. In P. Ferstl & K. Sarkhosh (Eds.), Quote Double Quote. Aesthetics between High and Popular Culture (pp. 99–120). Amsterdam: Rodopi.
Kuehnast, M., Wagner, V., Wassiliwizky, E., Jacobsen, T., & Menninghaus, W. (2014). Being Moved: Linguistic Representation and Conceptual Structure. Frontiers in Psychology, 5:1242. doi:10.3389/fpsyg.2014.01242 PDF