22. November 2021

Innere Ruhe fördert Lesefreude

Flow-Zustand beim Lesen

Ein Team des MPI für empirische Ästhetik fand heraus, dass der innere Zustand Einfluss auf die Lesefreude haben kann. (Bild: MPI für empirische Ästhetik)

In der Ruhe liegt die Kraft. So weit, so bekannt. Dass der innere Zustand auch Einfluss auf die Lesefreude haben kann, ist neu. Erst kürzlich veröffentlichten Wissenschaftler:innen des Max-Planck-Instituts für empirische Ästhetik in Frankfurt am Main ihre Erkenntnisse hierzu als Open-Access-Artikel im Fachmagazin Reading Research Quarterly.

In ihrer Studie präsentierten die Forscher:innen 84 Teilnehmer:innen Ausschnitte aus Homers Odyssee. Dabei variierten sie den Anspruch der Texte über den Schreibstil: Die Teilnehmer:innen lasen je eine entweder simpel, mittelschwer oder besonders anspruchsvoll geschriebene Version desselben Kapitels.

Vor und während des Lesens wurde ihre Herzaktivität gemessen. Nach dem Lesen fragten die Wissenschaftler:innen zudem nach dem Flow-Erleben. Der Begriff „Flow“ stammt aus der Psychologie. Er definiert einen positiven Zustand beim völligen Aufgehen in einer Tätigkeit. Neuen Forschungserkenntnissen zufolge spielt der Flow-Zustand auch beim Lesen eine Rolle und geht mit gesteigerter Lesefreude einher.

„Flow in herausfordernden Situationen, sei es beim Lesen oder bei anderen Tätigkeiten, ist für unsere Forschung von besonderem Interesse. Denn gerade solche Situationen sind häufig mit Lerngelegenheiten verbunden. Und Flow-Erlebnisse motivieren dazu, sich auf die Lernangebote einzulassen“, erklärt Erstautorin Birte Thissen.

Die Wissenschaftler:innen fanden zwar keine Hinweise darauf, dass Flow beim Lesen die Herzaktivität verändert, umgekehrt stellten sie jedoch einen Zusammenhang fest: Die Herzaktivität zu Beginn beeinflusste den Flow-Zustand beim Lesen. Leser:innen mit einer geringen Herzrate und einer hohen Herzratenvariabilität erlebten vergleichsweise mehr Flow beim Lesen stilistisch mittelschwerer bis schwieriger Texte.

Ein solches Herzaktivitäts-Muster deutet auf innere Entspannung und erhöhte Aufnahmefähigkeit hin. Leser:innen mit diesem Herzaktivitäts-Muster konnten also verhältnismäßig hohen Herausforderungen besser begegnen und dabei Flow erleben – sowie die damit verbundene Lesefreude.

 

Originalpublikation:
Thissen, B. A., Schlotz, W., Abel, C., Scharinger, M., Frieler, K., Merrill, J., Haider, T., & Menninghaus, W. (2021). At the Heart of Optimal Reading Experiences: Cardiovascular Activity and Flow Experiences in Fiction Reading. Reading Research Quarterly. Advance online publication. doi:10.1002/rrq.448

Wissenschaftliche Ansprechpartnerin:
Birte Thissen